Tanja Hamester
BOUNCERS
PROTEKTORPROTEST
Ein Aktionsraum bei DER FAHRENDE RAUM, München 2022
Konzept des Aktionsraums BOUNCERS: Tanja Hamester
Artist in Residence (Performance): Tita Tummillo
Künstlerische Leitung DER FAHRENDE RAUM: Sophia Köhler
Der Fahrende Raum (Kultur & Spielraum e.V.) ist ein Kunstprojekt für kunstvermittlerisches und künstlerisches Handeln im städtischen Kontext. In einem aus wechselnden Aktionsräumen bestehenden Programm bespielt der Fahrende Raum zusammen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, sowie wechselnd eingeladenen Künstler*innen pro Jahr einen Stadtteil Münchens.
pictures: BOUNCERS staged and performed by participants in Neuperlach. BOUNCERS created by Ludwig Bader and Tanja Hamester
Die BOUNCERS sind Schaumstoffskulpturen, die im Sinne einer Schutzausrüstung neue Erfahrungsmöglichkeiten schaffen und Zugänglichkeit zu Unzugänglichem ermöglichen. Zum einen sind das mobile, tragbare Aufenthaltsorte, die nach Bedarf an- und abgelegt werden können. Refugien aus Schaumstoff, weiche Architekturen, die zum sicheren Ort der Zuflucht werden können. Zum anderen sind das Körpererweiterungen, Prothesen, die wir an- und ablegen, um uns regelrecht in den Stadtraum hineinstürzen zu können.
*english version soon
Protektorprotest - Reappropriating Protection
Der Aktionsraum “Protektorprotest” beschäftigt sich mit der Frage wie das Handlungsspektrum Schutz Erfahrungsräume aufschließen und erweitern kann.
Schutz ist ein Wort, das meist im Rahmen von sogenannter Sicherheitspolitik verwendet und häufig mit einschränkenden Maßnahmen in Verbindung gebracht wird. Wir möchten Schutz nicht als Einschränkung, sondern als Erweiterung definieren.
Es gibt Situationen, die nur mithilfe einer Schutzausrüstung, einem Protektor ausgeführt werden können. Ein Sturz oder ein Aufprall wird vom Protektor abgefedert. Eine Gefahrensituation wird zu einem Abenteuer. Protektoren erweitern die Erfahrungsmöglichkeiten, schaffen Zugänglichkeit zu Unzugänglichem. Mit Hilfe der Protektoren, die die Teilnehmenden aktiv und selbstbestimmt ab- und anlegen können, werden neue Zugänglichkeiten zu vormals Unzugänglichem gestaltet und nutzbar, da diese zur Unterstützung in (alltäglichen) Situationen werden. Dabei soll der Schutz aber nicht einengen oder einschränken. Vielmehr steckt im Entwerfen, Konstruieren, Herstellen und anschließendem Tragen eines Protektors ein emanzipatorischer Moment, sogenanntes Empowerment. Das Sich-Schützen überführen wir von etwas Passivem, von einem Bedürftig-Sein, Schwach-Sein, einer Opferrolle in etwas Aktives, wodurch wir Stärkung erfahren. Mit unseren Protektoren erschaffen wir neuen Möglichkeitsräume. Das durch die Protektoren veränderte und bestärkende Handeln wollen wir mithilfe theatraler Mittel performativ beleben und öffentlich machen.
Transversal staging (Querendes Inszenieren) - Artist in Residence Tita Tummillo
Das diesjährige Residency-Programm fokussiert sich einerseits auf Fragen der Inszenierung. Methoden und Strategien aus dem Theaterkontext sollen die Arbeit im Aktionsraum erweitern und bereichern. Andererseits soll es um antidiskriminierende, antiklassistische und queere pädagogische und theatrale Praktiken gehen. Nanna Lüths und Carmen Mörschs „Queering Art Education“1 wird eine Orientierungshilfe beim „Reingrätschen“ in tradierte Heteronormativitätsvorstellungen und bei der Befragung und Dekonstruktion von Zugehörigkeitsordnungen liefern. Der Begriff „transversal“ verweist auf diese que(e)rende und irritierende Bewegung, die Bernadett Settele so beschreibt: „Das Ungefasste, Unfassbare stellt eine Aufforderung dar, sich Welt anders anzueignen und ihre Ambivalenzen zutage zu fördern.“2 Mithilfe von performativen Methoden soll diese Wahrnehmungsreformation formuliert werden.
Tita Tummillo, Artist in Residence des Fahrenden Raums 2022, verlegt für einen Monat ihren Arbeitsschwerpunkt von Bari nach München, um den Protektoren Leben einzuhauchen. Mithilfe von Übungen und Techniken aus dem Theaterkontext erhalten die Protektoren Performanz. Sie werden animiert, belebt, in Gebrauch genommen und in Szene gesetzt. Die theatrale Belebung der Skulpturen ermöglicht ein Erproben neuer Möglichkeits(spiel)räume. Wir stellen uns die Fragen: Welche Handlungen ermöglicht mir ein Protektor, die ich ohne ihn nicht ausführen könnte? Welche Orte kann ich mit einem Protektor betreten, die ich ohne ihn meiden würde? Wir experimentieren und tauschen unsere Erfahrungen aus, kombinieren mehrere Protektoren zu größeren (Protektorcollagen) und erforschen neue Handlungsspektren im geschlossenen und öffentlichen Raum.
Unsere gemeinsame performative Praxis beginnt im “Safe Space” des Aktionsraumgeländes und wird in mehreren Etappen in den Stadtraum hineingetragen. Hierbei nutzen wir Strategien der kunstpraktischen Stadtbegehung, wie sie zeitgenössische Künstler*innenkollektive wie DOM und ATIsuffix vorschlagen. Wir flanieren, paradieren, schleichen und stolzieren mit den Protektoren durch den Stadtteil und eignen uns performativ den öffentlichen Raum an. Bewege ich mich anders mit einem Protektor als Add-On/Prothese? Fühle ich mich in der Öffentlichkeit geschützter mit einem Protektor?
Protektoren als Schutzraum (“Shell Protectors”)
Die erste Phase des Aktionsraums ist der Produktion sogenannter “Shell Protectors” gewidmet. Wir bauen Refugien aus Schaumstoff, weiche Architekturen, die zum sicheren Ort der Zuflucht werden können. Die Teilnehmenden entwerfen und konstruieren selbstbestimmt höhlenartige Gebilde (Verstecke), in die sie sich zurückziehen können, um ungestört zu sein. Ausgangspunkt sind Schneckenhäuser und Muschelschalen, mobile, tragbare Aufenthaltsorte, die nach Bedarf an- und abgelegt werden können. Es entsteht ein eigener selbstbestimmter Raum, eine Zufluchtsstätte über die entschieden werden kann, ob sie mit anderen geteilt wird oder nicht. Unter anderen fungieren die Bodyshells der Künstlerin Heidi Bucher als konzeptioneller Ausgangspunkt für unsere skulpturale Produktion. Die “Shell Protectors” werden schließlich zum Bühnenbild einer Aktion beim Künstler*innenfest (28.07.2022).
Protektoren als Körpererweiterung (Protektor Prothesen)
Im weiteren Verlauf des Aktionsraums entwerfen wir kostümartige Skulpturen, Add-Ons, die als Prothesen gedacht sind. So erweitern wir unsere Körper um Artefakte, die ihn neu erschaffen und ihm neue Erfahrungsräume eröffnen. Ausgangspunkt sind Knie- und Ellbogenschützer, Schutzhelme, Rückenprotektoren, aber auch Körpererweiterungen aus der Beautyindustrie (beispielweise TikTok-Trends wie die Booty-Scrunch Leggins). Wir stellen uns folgende Fragen: Wie und aus welchen Gründen wollen wir unsere Körper erweitern? Welche Formen der Erweiterung bietet uns die Idee des Protektors?
Die performative Aktivierung der Add-Ons greift auf zeitgenössische Performance- und Theaterpraktiken aus dem Kontext des Posthumanismus und der Prostheticsforschung zurück. Wir können die Protektoren mithilfe von Klettverschlussverbindungen wie ein Kleidungsstück anlegen, als Werkzeug benutzen oder als (Schutz-)Ausrüstung für sportliche Aktivitäten nutzen.So definieren wir unsere Körper auch in Relation zu anderen Körpern und unserer Umgebung.
ProtektorProtest - a site specific performance by Tita Tummillo
ProtektorProtest is a site-specific performance created in a month-long residency at DER FAHRENDE RAUM with BOUNCERS ad-ons, devices designed by Tanja Hamester and created with people in Neuperlach.
performed by: Sophia Köhler, Ludwig Bader, Leonie Brehorst, Vera Brosch, Tita Tummillo, Tanja Hamester
Thanks to the Soundwerkstatt for providing us with headphones.